Wer gründet, geht neue Wege
Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.
Joachim Ringelnatz
Wer über neue Wege nachdenkt, muss Unsicherheit aushalten lernen. Warum? Immer wenn Sie Neues machen wollen, lösen Sie vorhandene Strukturen auf bzw. stellen sie zumindest in Frage. Sie verlassen vertraute Bahnen. Auf einmal scheint Vieles möglich – doch fehlt Ihnen (noch) das Skript, wie es genau weiter geht.
Die alten Strukturen waren vielleicht einengend, langweilig und starr – aber sie gaben auch Halt. Geradlinig wussten Sie genau, wo es lang geht.
Brechen die alten Sicherheiten weg oder rütteln Sie selbst an ihrer Starrheit, entsteht Weite. Auf einmal gibt es viele Möglichkeiten.
Das kann beängstigend sein. Welchen Weg sollen Sie nun einschlagen? Es gibt viele Möglichkeiten, keiner ist so recht vertraut, keiner verspricht sicheren Erfolg. Der eine ist verheißungsvoller, vielleicht aber auch bedrohlicher, der nächste sicherer, aber auch langweiliger.
Sie wissen schlicht nicht, was Ihnen auf den neuen Wegen begegnen wird. Sie wissen nicht genau, wie alles geht. Sie wissen nicht, was auf Sie zukommt. Sie wissen nicht, wo Sie ankommen und ob Sie ankommen.
Was also tun? Wie kommt man zu neuer Klarheit, zu gangbaren, realistischen Wegen, zu Entscheidungen?
Das Bedürfnis, auf den nächsten, sicher scheinenden Zug aufzuspringen, ist groß. Die Gefahr liegt darin, dass auch dieser sich als nur vermeintlich sicher erweisen könnte – oder Sie wieder weg bringt von dem, was Sie wirklich wollen..
Sie könnten in einer solchen Phase nach dem nächsten Strohhalm, nach dem Vertrauten greifen. Sie bewerben sich, bekommen die Stelle – und müssen vielleicht bald feststellen, dass Sie auch hier nicht glücklich sind. Der neue Chef ist schlimmer als der alte. Sie werden nach ein paar Monaten auch hier mit Blick auf die Auftragslage entlassen. Sie stellen fest: Der grundlegenden Frage, was gut für Sie ist und welchen Weg Sie gehen wollen, Ihrer Sehnsucht, sind Sie auf der Suche nach Sicherheit ausgewichen. Sie haben die Phase der Unsicherheit schnell beendet, doch sind Sie nicht dort angekommen, wo Sie wirklich hinwollen.
Es braucht Suchprozesse und die Bereitschaft, auszuhalten, dass neue Klarheiten vielleicht auf sich warten lassen. Je mehr Sie bereit sind, sich auch auf eine Phase der Unsicherheit einzulassen, desto größer ist die Chance, dass Sie sich selbst und Ihren Wünschen und Möglichkeiten begegnen .
Dabei kann der Weg in den Job genau das Richtige sein. Viele, die über eine Selbständigkeit nachdenken, landen wieder in einer Anstellung – und betrachten die Auseinandersetzung mit dem Thema Gründung im Nachhinein als ein spannendes Intermezzo, das sie sich selbst und den eigenen Bedürfnissen und Wünschen näher gebracht hat.
Bedauerlich sind nur die Entscheidungen, die gegen eine starke innere Stimme getroffen werden, die flüstert: „Eigentlich wolltest Du doch diesmal nicht einknicken und ja sagen. Eigentlich weißt Du genau, dass es diese Stelle auch nicht ist. Eigentlich wolltest Du Deine Sehnsucht ernst nehmen.“
Häufig geht einer grundlegenden Umstrukturierung und Richtungsänderung eine Krise voraus – ja, es braucht manchmal geradezu die Krise, damit etwas Neues entstehen kann. Denn erst wenn wir mit unseren bewährten Strategien am Ende sind, sind wir mitunter bereit, uns unseren Ängsten vor dem Neuen zu stellen.
Was macht es so verführerisch, den Weg in die Sicherheit zu wählen, das Altbekannte, Wohlvertraute zu suchen?
Genau das: Es ist altbekannt und wohlvertraut und sicher. So sehr das Neue und Unbekannte locken mag – es ist auch bedrohlich. Wenn Sie neue Räume betreten, wissen Sie nicht, ob Ihre Fähigkeiten ausreichen werden, welche Erfahrungen Sie machen werden, ob Sie mit Glanz und Gloria aus der Sache heraus kommen werden oder ob Sie sich blamieren werden.
Und wir alle haben im Laufe unseres Lebens Misserfolge erlebt. Wir wissen genau, wie doof es sich anfühlen kann, vor den Augen der Welt und unseren eigenen zu scheitern. Das würden wir uns gerne ersparen. Vertraute Wege mögen vielleicht nicht so reizvoll sein, aber immerhin wissen wir von ihnen, dass wir sie bereits bewältigt haben.
Was aber bleibt, wenn das Altbewährte diesmal keine Antworten liefern will?
Rilke hat das wunderschön ausgedrückt. Es gilt „die Fragen selbst lieb zu haben“
„… ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. (Rilke An Franz Xaver Kappus – z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903)
www.berufswegberatung.de
Danke für diesen Blog-Artikel und das fantastische Rilke-Zitat (werde ich mir an den Badezimmer-Spiegel heften) – exakt mein Thema gerade. Ganz wichtig für mich in der Bewegung vom Altbekannten hin zu neuen Wegen: MEIN Tempo zu finden, mich inspirieren, aber nicht von anderen mitreißen zu lassen, es auszuhalten, Entscheidungen (noch) nicht zu treffen, statt harter Schnitte mich langsam mehr zu dem Hinzubewegen, was ich wirklich tun möchte, damit das mehr werden kann … und neugierig sein auf das, was dann entsteht.