Kaum etwas ist wie sonst in unserem Leben. Für alle sind es besondere Zeiten.

Was wir gemeinsam erlebt haben: Kontakt-Einschränkungen, „Social Distancing“ – 1,5 m Abstand zwischen uns und den Menschen, die wir bisher selbstverständlich in den Arm genommen haben, Mundschutz-Tragen, geschlossene Läden, Museen, Fitness-Studios, Schwimmbäder, Restaurants, leere Straßen…

Was wir unterschiedlich erlebt haben:

  • Für manche war es fast eine Zeit des Zuviels an permanentem Kontakt. Eingesperrt ins Home Office, mit Partnern und Kindern fehlte mitunter Zeit und Raum, sich selbst zu spüren. Sehnsucht nach einem Tag Ruhe…. Nicht permanent zwischen unterschiedlichsten Bedürfnissen vermitteln: Chef, Kolleg*innen, Partner*in, Kinder…. Wer hilft den Kindern beim Homeschooling? Wer darf sich wie und wo mit seinen Arbeits-Utensilien breit machen? Wer übernimmt das ständige Kochen und Aufräumen, das exponentiell zunimmt, wenn alle zuhause sind?
  • Für andere war es eine Zeit des Alleinseins. Freunde sieht man nur noch online oder hört sich ab und an am Telefon. Familienangehörige weit weg oder isoliert im Altersheim. Mit manchen reißt der Kontakt fast ganz ab. Quellen von Lust und Freude – Ausgehen, ins Kino gehen, Veranstaltungen, Kunst und Kultur – sind weggefallen. Ressourcenvolle Hobbys und Interessen – Sport, Kurse, Weiterbildung – sind nicht mehr möglich.
  • Wohl dem, der sich umstellen kann. Von Vielen höre ich, dass sie es genossen haben, mehr Zeit für den Garten, für Renovieren und gründliches Aufräumen zu haben, dass sie mehr spazieren gegangen sind, mehr Zeit zuhause in Ruhe verbracht haben, die Inliner wieder rausgeholt oder Spiele hervorgekramt haben. Fast verschämt und hinter vorgehaltener Hand beichtet der eine oder andere, dass Corona noch ein bißchen länger gehen könnte. Die Vorstellung, in die alte Hetze zurückzukehren, ist nur mäßig attraktiv. Manchen wird jetzt, durch die erzwungene Ruhe klar, in welchem Hamsterrad sie vorher gesteckt haben. Einige sagen mir: Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe. Ich kann mir gerade gar nicht vorstellen, dass ich das wieder hinkriege. Es war zu viel Arbeit, zu viel Stress und Hektik, zu viel Lautstärke und Überforderung.
  • Genießen konnten es die, die materiell einigermaßen abgesichert waren: Für viele Menschen bedeutet Corona Existenzbedrohung und damit die Herausforderung, sich umzustellen, neue Angebote zu kreieren, um halbwegs über die Runden zu kommen.
  • Andere haben entdeckt, was alles online möglich ist: Austausch, gemeinsam essen, Improtheater, Weiterbildungen in Form von Webinaren und Zoom-Konferenzen, Yoga, Fitness-Kurse, Meditieren…. Ich bin beeindruckt zu sehen, wie riesig die Lernkurve bei Vielen ist, wie groß die Fähigkeit vieler Menschen ist, sich umzustellen und der Situation das Beste abzugewinnen.
  • Manches finde ich überraschend bis bestürzend: Bei einer Fortbildung sagen mir die Teilnehmer*innen, die alle in der Jugendhilfe arbeiten, ihre Arbeit sei gerade leichter, nicht schwerer. Die Kids hätten weniger Druck, weil sie nicht zur Schule gehen. Das wirkt sich positiv auf das Miteinander mit den anderen Kindern und Jugendlichen aus. Alles ist friedlicher. Nicht gerade ein gutes Zeugnis für unsere Schulen.

Spannend fand ich es zu sehen, wie unterschiedlich wir alle mit der Krise umgehen, wie verschieden unser Umgang mit den auferlegten Einschränkungen war und ist:

  • Für die einen scheint die Maske hoch-willkommen zu sein. Ob sie in früher Vernunft eine Maske trugen, längst bevor es eine allgemeine Anordnung gab – oder ob sie sich, entgegen aller anderslautenden Botschaften, selbst besser geschützt fühlten, bleibt offen. Es gibt echte Masken-Verfechter, eifrige Masken-Näherinnen und ambitionierte Masken-Trager. Was in Menschen vorgeht, die alleine auf dem Fahrrad eine Maske tragen oder allein im Auto, ist mir allerdings nach wie vor rätselhaft. Eine Supervisorin erzählt, sie hätte den Eindruck, manche Menschen hätten das vielleicht schon länger gebraucht, sich endlich ein Stück mehr vor der Welt und ihren Bedrohungen schützen zu können. Für die anderen war und ist das Masken-Tragen die ultimative Herausforderung – ein Stückchen Stoff, das ihnen Sicht und Atem raubt, sie noch ein Stückchen weiter von allen entfernt und sie sogar noch um die Mimik des Gegenübers bringt.
  • Für die einen ist es wichtig, sich genau an alle Regeln zu halten – sei es aus Angst oder aus Überzeugung. Für die anderen geht es mehr um den Sinn von Regeln als darum, sie buchstabengetreu zu befolgen. Und wieder andere halten das eh alles für Unfug. Verschwörungstheorien boomen leider. Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen es schwer finden, das alles auszuhalten. Dass dann auch der Unsinn immer wieder Blüten treibt, ist schade – Hauptsache, das Gros der Menschen weiß zu schätzen, dass es gerade das Befolgen der Regeln ist, das uns einen relativ glimpflichen Verlauf des Ganzen beschert hat.

Es ist, als wenn wir alle ein großes kollektives Experiment unternommen haben.

Wir haben unser Leben in einem Ausmaß verändert, das wir uns vorher nicht vorstellen konnten. Und nicht alles, was uns da zwangsweise weggenommen wurde, vermissen wir. Im Gegenteil haben wir jetzt die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, wenn alles ganz anders ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, diese Gesellschaft, von einem Tag auf den anderen radikal zu verändern.

Die Krise hat uns alle mehr oder weniger emotional dünnhäutig werden lässt: Kinder und Freund*innen, die Kontakt verwehren, hinterlassen bei Vielen ambivalente Reaktionen. Ja, der Verstand sagt, sie haben gute Gründe, das Herz aber fühlt sich verlassen. Krisen lassen uns Menschen nach Trost und Verbindung im Miteinander suchen. Dass uns Corona genau das nimmt, ist besonders bitter. Kein Wunder, dass die Konflikte in Familien und mit anderen Mitmenschen sich mitunter so existenziell anfühlen für manchen – jeder ist angekratzt und bedürftiger, wenn sich alles ändert und nichts gemächlich sicher dahinplätschert. Nur leider wollen unsere Krisen-Bedürfnisse nicht immer zueinander passen: Der eine braucht Rückzug, der andere Gespräch; der eine fühlt sich sicher durch das Befolgen von Regeln, der andere braucht dringend ein Rest-Gefühl persönlicher Freiheit….

Ich wünsche mir, dass wir miteinander sprechen statt in erbitterter Rechthaberei den eigenen Standpunkt zu vertreten. Krisen-Talk bedeutet für Viele leider, sich mit dem Rücken an der Wand zu fühlen. Mit der eigenen Angst im Nacken ist es dann schwer, andere Meinungen auszuhalten und nachzuvollziehen. Dabei suchen wir doch alle nur gute Lösungen. Dass wir unterschiedliche Meinungen über den richtigen Weg haben dürfen, ist Zeichen einer guten Demokratie. Dazu gehört für mich, dass ich als mündige Bürgerin und Erwachsene angesprochen und überzeugt werden möchte – dann bin ich bereit, mich auch an mir unbequeme Regelungen zu halten. Wo Politiker*innen in Eltern-Jargon fallen und mich als unvernünftiges Kind adressieren, werden in mir nicht nur folgsame, sondern gerade auch rebellische Kind-Anteile angesprochen….

Leider fürchte ich, dass wir das Ganze noch nicht überstanden haben. Von daher wünsche ich uns allen, dass wir an der Krise wachsen, uns gegenseitig hören, verstehen und stärken. Und weiter Vernunft und Augenmaß walten lassen…