Besser als ihr Ruf
Sie haben bei vielen kein gutes Image. In Gründungsseminaren lichten sich schon mal die Reihen, wenn das Thema dran ist. Einige setzen einfach ihren Steuerberater an die Buchführung und kümmern sich nicht mehr um das Thema Zahlen. Warum ist ihr Ruf eigentlich so schlecht?
Schlechter Mathe-Unterricht
Sehr viele Menschen haben schlechten Mathe-Unterricht erlebt. Schlecht war dieser Unterricht insofern, als das Haupt-Fazit der Lernenden am Ende war, dass Mathematik etwas Schreckliches, schwer Begreifbares ist – gipfelnd im inneren Glaubenssatz: „Ich kann kein Mathe“ oder „In Mathe war ich immer schlecht“. Unterschiedslos versackt in diesem inneren Mathe-Abgrund Prozentrechnung mit Algebra, vermischt mit Geometrie und anderen Herausforderungen. Dramatisch wird dieses Fazit, wenn Fertigkeiten, die Menschen in der Grundschule erworben haben, gleich mit in den Abgrund rutschen. Will heißen: Wer sich mit der eigenen Buchführung beschäftigt, braucht an mathematischen Fähigkeiten Plus und Minus, Mal und Geteilt. Das sollte ab der vierten Klasse sitzen. Wer wollte ernsthaft behaupten, nicht einige Zahlen addieren zu können? Zumal es heutzutage Taschenrechner gibt.
Es hängt Geld daran
Die Zahlen sind Ausdruck dessen, wie ich gewirtschaftet habe. Beschäftige ich mich mit Zahlungseingängen und -ausgängen, muss ich Rechenschaft ablegen. Ich muss hinschauen. Schwarz auf weiß wird sichtbar, was ich an Geld eingenommen habe und ausgegeben habe. Reicht das Geld, ist alles prima. Dann kann dieser Moment zur Freudenstunde werden. Bei sehr vielen Menschen aber löst das Thema Geld Schamgefühle aus, Gefühle des Versagens, Gefühle mangelnder Kontrolle. Sichtbar wird in ihren eigenen Augen ihr Versagen; die Tatsache, dass es nicht reicht. Gibt es eine Lücke, wird diese im Augenblick des Hinschauens offenbar. Sich diesem Moment zu stellen, erfordert auch Mut.
Zahlen-Aufstellungen können abschrecken
Leider sind sowohl das Vokabular als auch die Tabellen, die GründerInnen und UnternehmerInnen an die Hand gegeben werden, oft sehr komplex und damit abschreckend. In dem Bemühen, jede Eventualität abzubilden, enthalten diese Aufstellungen oft viele Spalten und Zeilen, die auf das eigene Unternehmen gar nicht zutreffen. Insgesamt wirkt das dann erschlagend und kompliziert. Hilfreich kann es sein, sich eigene Tabellen zu basteln, die nur das enthalten, was auf Sie wirklich zutrifft. Mut zur Einfachheit und zum Wesentlichen ist gefragt. Stellen Sie sich vor, Sie wollten eine Urlaubsreise oder einen Umzug planen. Dann würden Sie doch ebenfalls Kostenaufstellungen machen – auf einem Blatt Papier oder im Computer. Vor allem auf gesunden Menschenverstand kommt es an. Es gibt nicht DIE ultimative Tabelle.
Oder Sie schreiben sich vorhandene Zahlenwerke für Ihre Bedürfnisse um. Hauptsache, Sie können gut damit arbeiten.
Das Finanzamt will Zahlen
Für viele ist die Buchführung in erster Linie etwas, wozu sie das Finanzamt zwingt. Da jedoch viele Menschen auch mit dem Finanzamt ein Gefühl des Nicht-Wissens und der Unsouveränität verbinden, lauert für sie noch eine innere Hürde in den Zahlen: nämlich zu verstehen, welche steuerliche Pflichten sie haben, wie Belege abgeheftet werden müssen, die Angst, etwas falsch zu machen und die Sorge, hohe Steuern zu bezahlen. Auch hier hilft Wissen, um den schlechten Gefühlen ein Ende zu bereiten.
Warum Zahlen so wichtig sind
Was leider auf der Strecke bleibt, ist, dass Zahlen wie kaum etwas anderes dem eigenen Unternehmen Boden geben. Beschäftige ich mich damit, was ich einnehme, mit welchen Aufträgen ich wie viel Geld verdiene, wie gut ein Auftrag bezahlt war, wie hoch meine Kosten sind und wie viel übrig bleibt, schaffe ich mir ein vertieftes Verständnis dafür, wie ich gut wirtschaften kann. Erst der Blick auf die Zahlen verrät mir wirklich, wie es um mein Unternehmen steht.
Was heißt das praktisch?
Je mehr ich mich damit beschäftige, wie viel Geld ich brauche und ausgebe, desto gezielter kann ich darauf hinarbeiten, auch die entsprechenden Einnahmen zu haben. Zeigt mir eine Aufstellung meiner Ausgaben, dass es finanziell nicht reichen wird, bin ich direkt aufgefordert, mir Gedanken zu machen, wie ich zusätzliche Einnahmen erwirtschaften kann.
Wenn ich spüre, dass ich ganz viel arbeite, mein Konto aber leer ist, kann mir eine Analyse meiner Arbeitsstunden, meiner Honorare und meiner Kosten zeigen, warum ich nicht mehr bekomme. Erst der vielleicht unangenehme Blick auf die Wirklichkeit zeigt mir, wo Handlungsbedarf steht.
Wenn ich trotz guter Einnahmen, nicht auf einen grünen Zweig komme, hilft es, sich mit der Ausgabenseite zu beschäftigen. Wo fließt das Geld hin, das ich verdiene? Ist alles nötig, das ich ausgebe, um die Einnahmen zu erwirtschaften?
Umgekehrt kann der Blick auf die Zahlen auch zum Fest werden und Befürchtungen ausräumen. Oft ist das vage innere Gefühl viel schlimmer als die Wirklichkeit. Bei meinen KundInnen erlebe ich es häufig, dass eine schlichte Aufstellung der bisherigen Einnahmen und Auftragseingänge zu der Erkenntnis verhilft, dass zumindest die nächsten Monate finanziert sind – und dass sie mit dem Geld, das sie verdienen werden, einige Zeit über die Runden kommen.
Zahlen machen die Dinge konkret
Wer Projekte plant, neue Investitionen im Sinn hat oder mit der Gründung beginnt, hat oft zunächst nur vage Vorstellungen, wie die Dinge laufen sollen. Wollen Sie Ihre Pläne zu Papier bringen und konkretisieren, wollen Sie ein Darlehen oder Zuschüsse von der Arbeitsagentur, brauchen Sie einen Investitionsplan. Den aber können Sie nur erstellen, wenn Sie sich ganz konkret vorstellen, was Sie machen wollen. Wie viel Geld Sie ansetzen müssen für die Einrichtung Ihres Büros, ist nur zu ermitteln, wenn Sie innerlich durch die Räume gehen und sich vorstellen, wie alles aussehen wird. Wenn Sie Kataloge wälzen oder im Internet stöbern, was Einrichtungsgegenstände kosten. Das heißt, die Zahlen verhelfen Ihnen dazu, Ihre Ideen zu konkretisieren.
Konfrontierend aber erkenntnisreich
Sich mit Zahlen zu beschäftigen, heißt, sich der Realität zu stellen. Und das ist nicht immer einfach. Im besten Fall freuen Sie sich über den Erfolg Ihres Tuns. Auch das spiegeln Ihnen die Zahlen. Im schlimmsten Fall bestätigt sich Ihre Vermutung, dass etwas nicht so läuft, wie Sie sich das erhofft haben.
Ich kenne die erschreckende Erkenntnis „Es reicht einfach nicht“ gut. Doch wer diese Erkenntnis durch Nicht Hinschauen hinaus zögert, vergrößert das Problem. Wie immer im Leben, ist der Moment der Wahrheit auch der, indem ich neue Ideen entwickeln kann, neue Projekte anstoße, alte Zöpfe abschneide, mir erlaube, etwas, was nicht lukrativ ist, nicht mehr zu tun. Ich gewinne also auch neue Freiheiten. Oft habe ich in meinem Leben etwas bewegt, weil es schlicht sein musste. Ich brauchte Geld und war gezwungen, mich aus der Komfortzone hinaus zu bewegen. Nicht gemütlich. Aber im Nachhinein war ich meistens stolz, weil ich Schritte gemacht habe, die ich ohne Druck weiter hinaus gezögert hätte.
Was ich an Zahlen liebe
In Gründungsseminaren gibt es immer einige, die auf einmal entdecken, dass sie sich die Zahlen zum Freund machen können. Sie fangen an, eigene Zahlen-Aufstellungen zu machen. Sie entwerfen Excel-Listen oder nutzen vorhandene. Sie kalkulieren ihre Honorare und errechnen, wie viel Aufträge sie brauchen, um genug Geld zu verdienen. Wer das tut, wird wirklich selbständig – nämlich unabhängig und handlungsfähig. Die Zahlen anzuschauen, kann ein enormes Gefühl von Kontrolle mit sich bringen. Auch wenn die Wahrheit, die ich sehe, nicht immer angenehm ist – ich weiß zumindest, woran ich bin. Ich persönlich finde das lauernde Gefühl drohenden Unheils erheblich schlimmer als dem Tiger ins Auge zu blicken. Zahlen verhelfen mir zum Handeln. Wenn ich hinschaue und sehe, wo ich stehe, schwindet das Gefühl des Luftigen und Schwammigen. Ich weiß genau, woran ich bin, kann mir überlegen, was nötig ist, oder mich innerlich zurück lehnen. Der Blick auf die Zahlen zeigt mir, wo ich stehe.