Über die Kunst, gut mit sich – und anderen – umzugehen
Manchmal fühlt es sich an, als wäre die Welt gegen mich. Nichts will so recht klappen. Ich gebe mir solche Mühe und dennoch: Der Empfänger kriegt die sorgfältig geschriebene Mail in den falschen Hals; ich realisiere, dass ich einen wichtigen Termin vergessen habe, die Verkäuferin ist unfreundlich und pampt mich an, der Schreibtisch ist voller Arbeiten auf die ich keine Lust habe. Und wie der Himmel will, spielt auch das Wetter verrückt und ich werde auf meinem Weg pitschnass.
An diesen Tagen hilft nur eins: Durchatmen
Ich habe festgestellt, es lässt sich Vieles aushalten – die kleinen wie die großen Widrigkeiten des Lebens, wenn ich auf meiner eigenen Seite bin. Das klingt einfach und selbstverständlich? Von wegen: Gelernt habe ich gemeinsame Sache mit meinem inneren Kritiker zu machen, gegen mich selbst. Es ist etwas schief gegangen? Mein Impuls ist, den Fehler bei mir selbst zu suchen. Ich häufe glühende Kohlen auf mein eigenes Haupt, wie das passieren konnte.
An vielen meiner KundInnen erlebe ich, dass es ihnen ähnlich geht. Reflexhaft gehen sie mit sich selbst ins Gericht, wenn die Dinge schwierig werden. Statt auf ihrer eigenen Seite, sind sie auf der Seite dessen, der sie kritisiert oder kritisieren könnte. Eigentlich sind sie selbst gegen sich. Wenn etwas schief gegangen ist, wüten sie innerlich gegen sich, sie schimpfen mit sich, sie werten sich ab.
Liebevoll und gut zu sich selbst
Verantwortung für die eigenen Fehler zu übernehmen, finde ich richtig und in Ordnung. Wenn etwas schief läuft, wenn man jemanden ungewollt verletzt oder wenn Ziele nicht erreicht werden, ist es wichtig, nach Ursachen zu forschen, zu bedauern, dass Schwierigkeiten entstanden sind und nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen.
Spannenderweise geht das besser, wenn Sie NICHT selbst über sich herfallen, sondern wenn Sie liebevoll und gut zu sich selbst sind. Sie sind für Ihre Mitmenschen ein deutlich angenehmerer Zeitgenosse, wenn Sie sich angemessen in Frage stellen und sich gleichzeitig Recht geben.
Was heißt das konkret, sich Recht geben?
* Sie haben einen wichtigen Termin verpasst? Kann es sein, dass Ihr Leben gerade zu voll ist? So voll gepropft im Bemühen, allen Anforderungen gerecht zu werden, dass Ihr Gehirn die Notbremse gezogen hat und eine Verpflichtung einfach gelöscht hat?
* Sie haben trotz bester Absichten suboptimale Ergebnisse abgeliefert? Jetzt, im Nachhinein ist Ihnen klar, was nötig gewesen wäre. Aber war Ihnen klar, was richtig war, als Sie daran gearbeitet haben? Natürlich nicht. Hätten Sie es besser gewusst, hätten Sie Ihr Wissen berücksichtigt. Sich Recht geben heißt in diesem Fall, innerlich an den Punkt zurück zu gehen, als Sie überlegt haben, was nötig ist. Was hat Sie bewogen, sich so zu entscheiden, wie Sie es getan hatten. Hatten Sie nicht gute Gründe? Allzu leicht ist unser heutiges Ich, das schon weiß, wie die Dinge ausgehen, ungerecht gegenüber dem Ich, das damals Entscheidungen treffen musste, ohne schon zu wissen, was am Ende heraus kommen wird.
* Im Kontakt mit Ihren Mitmenschen ist etwas schief gegangen? Sie sind laut geworden, Sie waren ungerecht, Sie haben jemanden hängen lassen und im Nachhinein tut Ihnen das leid? Sich Recht geben heißt zu erforschen, welche Gefühle Sie bewegt haben, als Sie sich so verhalten haben. Was war los in Ihnen, was hat sich bedroht gefühlt, was wollten Sie erreichen durch Ihr Verhalten? Wenn Sie verstehen, was in Ihnen los war, können Sie nun nach neuen, besseren Möglichkeiten suchen, Ihre Bedürfnisse auszudrücken.
Mir selbst Recht zu geben, ist für mich zu einer wesentlichen Maxime geworden. Das bedeutet natürlich nicht, dass nur ich Recht habe. Mein Gegenüber hat auch Recht, auf die gleiche Weise. Auch er hatte zu jedem Zeitpunkt gute Gründe für das eigene Verhalten – auch wenn sich im Nachhinein heraus stellt, dass das Ergebnis zu wünschen übrig lässt.
Wer sich Recht gibt, kann sich besser vertreten
Wenn Sie freundlich zu sich sind, auch wenn Sie finden, dass Sie etwas nicht gut genug hingekriegt haben, hat das übrigens den Vorteil, dass Sie sich im Außen erheblich besser vertreten können. Wo ist da der Zusammenhang?
Sind Sie mit Ihrem inneren Kritiker liiert, werden Sie sich im Staub winden und tausend Mal entschuldigen, sobald etwas schief läuft. Oder – je nachdem, wie Sie innerlich gestrickt sind – werden Sie bei den anderen Fehler suchen, damit Sie selbst nicht als Einzige schlecht dastehen.
Geben Sie sich selbst Recht, können Sie in Ruhe erklären, was schief gegangen ist, dies bedauern und nach Möglichkeiten des Ausgleichs suchen. Sie haben dann erheblich weniger Schwierigkeiten, Ihrem vielleicht ärgerlichen Gegenüber zuzuhören, als wenn das, was dieser sagt, Wasser auf Ihre eigenen inneren Mühlen ist. Und Ihr Selbstwert bedroht ist.
Ärger, der gehört wird, verraucht
Verrückterweise ist es nämlich oft so, dass wir so ärgerlich auf uns selbst sind, dass wir es brauchen, von unserer Umwelt entlastet zu werden. Wenn Sie schon so schlimm mit sich schimpfen, ist es wirklich gemein, wenn die anderen auch noch meckern. Wenn Sie schon so ungnädig zu sich sind, sollen die anderen Ihnen Ihre Fehler nachsehen. Wenn unser Gegenüber dann seinen – vermutlich berechtigten – Ärger ausdrückt, kommt dies auf unseren eigenen Ärger noch oben drauf…. Und erzeugt schnell eine Gegenreaktion: „Ja, stimmt, das ist wirklich nicht gut gelaufen, aber muss der sich jetzt soooo anstellen!“
Ärger, der gehört wird, verraucht auch wieder. Nur wenn Sie sich rechtfertigen oder zum Gegenangriff übergehen statt zuzuhören und Verständnis zu signalisieren, bleibt er erhalten.
Davon, dass Sie sich Recht geben, profitiert dann sogar noch Ihr Gegenüber.