Das Alleinstellungsmerkmal

Wer einen Businessplan schreibt, fällt über das Wort. Wer gründet, wird oft danach gefragt. Wer kompetent über Unternehmen sprechen möchte, sagt es auch. Die Rede ist vom sog. „Alleinstellungsmerkmal“. Was ist damit gemeint?

Wer vom Alleinstellungsmerkmal spricht, will wissen, was ein bestimmtes Unternehmen von anderen unterscheidet. Was macht dieser Grafiker anders als die anderen? Warum sollen Kunden das neue Restaurant aufsuchen und nicht in eines der vielen bestehenden gehen? Was unterscheidet das neue Angebot von dem der Konkurrenz? In einer Zeit, in der es jede Geschäftsidee mehrfach gibt, ist die Frage berechtigt, warum es eine weitere Bäckerei, einen weiteren Copy-Shop oder den zigsten Coach geben sollte. Bzw. aus GründerInnen-Perspektive viel interessanter: Ob ein weiteres Angebot Chancen am Markt haben wird.

Ein Name kann den Unterschied machen …

Leider führt das Wort „Alleinstellungsmerkmal“ viele GründerInnen in die Irre. Verzweifelt suchen sie nach Faktoren, die sie ganz alleine auszeichnen: nach Behandlungsmethoden, die sie ganz alleine anbieten, nach Produkten, die sonst niemand hat. Doch leider gibt es schon (fast) alles. Genährt wird die Angst, dass das eigene Vorhaben keine Chance hat.

Wie kann die Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal produktiv und fruchtbar wirken und GründerInnen wirklich weiter bringen?

Hilfreich ist der Blick auf erfolgreiche Gründungen. Dann nämlich wird schnell deutlich, was aus Sicht von Kunden und Kundinnen wichtige Gründe sind, einen bestimmten Anbieter auszuwählen. Dabei sind Kunden und Kundinnen unterschiedlich und suchen ganz verschiedene Anbieter. Nehmen wir als Beispiel, Sie suchen einen guten Arzt. Aber was ist für Sie „gut“? Welche Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass Sie einen bestimmten Arzt auswählen?

Vielleicht sind Sie an Naturheilverfahren interessiert? Vielleicht möchten Sie einen Arzt, der sich mit einer bestimmten Erkrankung besonders gut auskennt? Oder Sie suchen eine Ärztin , die sich Zeit nimmt und bei der Sie sich wohl fühlen. Wichtig ist Ihnen u.U., dass Sie nicht lange warten müssen, sondern dass die Praxis-Organisation professionell ist. Sie schätzen es, wenn die Praxis freundlich und modern eingerichtet ist. Sie hätten gerne einen Arzt in der Nähe. Es ist Ihnen wichtig, dass es ein Mann ist. Oder Sie möchten unbedingt zu einer Frau gehen.

All dies ist nur ein kleiner Ausschnitt möglicher Gründe. Vielleicht sagen Sie jetzt, fast alles davon trifft auf Sie zu. Faktisch aber treffen wir notgedrungen eine Entscheidung und Auswahl. Der für Sie gerade beste Arzt ist leider doch ziemlich weit weg, aber er ist besonders nett. Oder Sie nehmen den in der Nähe, obwohl er ziemlich brummig ist, aber es ist halt praktischer.

So halten sich eine Menge Ärzte am Markt, nicht nur die allerbesten. Den, den die einen ganz toll finden, finden die anderen unmöglich. Nur diejenigen, die keine Fans finden, scheiden auf Dauer aus oder können sich erst gar nicht am Markt etablieren.

Qualitätssurrogate

Dabei können wir bei vielen Dienstleistungen die Qualität der Leistung selbst schlecht beurteilen. Zu ausschlaggebenden Kauf-Argumenten werden daher Neben-Aspekte der eigentlichen Leistung. Was das heißt? Ob mein Zahnarzt fachlich gut ist, werde ich vielleicht erst nach Jahren sagen können, wenn Füllungen viel zu schnell raus fallen. Und selbst dann werde ich vielleicht noch denken, dass dies an meinen Zähnen liegt und meine Beschwerden nicht in Zusammenhang bringen können mit der ursprünglichen Leistung des Anbieters. Wonach also bemesse ich, ob ich beim richtigen Zahnarzt gelandet bin? Bewusst und unbewusst nehme ich eine Vielzahl von Kriterien wahr, die mir das Gefühl vermitteln, die richtige Wahl zu treffen. Qualitätssurrogate nennt Hermann Scherer diese Kriterien, nach denen wir die Qualität eines Dienstleisters beurteilen. Wie schnell erreichen wir jemanden? Hat das Unternehmen Auszeichnungen oder Preise bekommen? Welche Ausbildungen (der Meisterbrief, stolz an die Wand gehängt …) zeugen von fachlicher Qualität? Wer kennt ihn alles? Wo liegt die Praxis? Usw. Meinen Zahnarzt z.B. finde ich besonders überzeugend, weil er auch Künstler ist und er mir durch Humor und Plaudern die Angst nimmt.

Viele kleine Aspekte eines Unternehmens haben deshalb für Kunden Bedeutung: Die Teppiche sind abgeschabt, die Wände schon lange nicht mehr gestrichen worden, es riecht muffelig … – trotzdem können wir einen tollen Klempner vor uns haben. Aber das ganze Drumherum macht misstrauisch. Umgekehrt kann jedoch das mit Chrom, Glas und Leder gestaltete Ambiente im Eingangsbereich einschüchtern und das Gefühl vermitteln: Huch, hier ist es teuer. Ich bin irgendwie falsch gelandet. Je nachdem, wen ich ansprechen will, gilt es also den richtigen „Ton“ zu treffen – selbst in solchen Gestaltungs-Aspekten.

Gibt es gute Gründe, Sie zu wählen?

Statt nach einem Alleinstellungsmerkmal Ausschau zu halten, das Sie wirklich ganz allein auszeichnet, macht es mehr Sinn, zu fragen und zu testen, ob das eigene Angebot in seinem Gesamtklang stimmig ist für eine bestimmte Zielgruppe. Gibt es für genügend Menschen gute Gründe Ihr Angebot anderen vorzuziehen? Die Art und Weise, wie Sie sich organisieren, auf Menschen zugehen, Ihr Angebot gestalten, ist überzeugend oder nicht. Dabei müssen Sie als Einzelunternehmerin oder Inhaberin eines kleinen Unternehmens im Regelfall nicht allen gefallen – es reicht, wenn eine überschaubare Menge von Kunden Sie für die beste Wahl hält. Statt allen gefallen zu wollen, macht es mehr Sinn, sich zu spezialisieren und auf die eigenen Stärken zu konzentrieren.

Häufig liegt die Lösung in der eigenen Biographie verborgen: Das Gesamtpaket und die Kombination Ihrer Erfahrungen unterscheidet Sie von anderen. Statt also künstlich Alleinstellungs-Aspekte zu definieren, ist es viel spannender, herauszuarbeiten, was Sie ohnehin anders machen wollen als die anderen und was Ihre besondere Mischung an Interessen und Stärken ist, die Sie jetzt bereits auszeichnet. Unternehmerinnen, die es schaffen, sind in irgendetwas richtig gut – aber das kann ein kleiner Aspekt sein: Sie haben richtig gute Kontakte. Sie können eine Methode besonders gut. Sie sind besonders nett. Sie können toll auf Leute zugehen. Sie kombinieren irgendetwas, was sonst nicht kombiniert wird. Sie erfüllen Bedürfnisse, die andere Menschen – ihre Kunden – haben. Sie sind nicht die einzig mögliche Lösung für ihre Kunden, aber sie sind die Lösung, die gerade da ist, die erreichbar ist, die gefunden werden kann und die überzeugend genug rüber kommt, um gewählt zu werden. Das macht sie erfolgreich.

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