Über die Last des Entscheidens

Unsere Sehnsucht ist groß nach Gewissheit. Wir wünschen uns Orientierung in der Unübersichtlichkeit des modernen Lebens. So viele Entscheidungen und Möglichkeiten. Wie geht gelungenes Leben? Wenn wir in diese Richtung hier abbiegen – haben wir dann vielleicht die große Chance unseres Lebens verpasst? Werden wir in Jahren und Jahrzehnten den Schritt bedauern, den wir jetzt tun? Wie gehen Menschen um mit dem Zwang zur Entscheidung; welche Strategien wählen sie, um die für sie richtige Entscheidung zu fällen?

Gar nicht zu entscheiden, Entscheidungen zu vermeiden oder wenigstens hinaus zu zögern, ist EIN Weg, nicht die falsche Entscheidung zu fällen. Bei vielen jungen Menschen fällt mir auf, dass sie es besonders schwer haben mit dem Entscheiden. Am liebsten würden sie die eigentliche Wahl möglichst lange nicht treffen. Sie sind groß geworden mit einer Welt der Fülle – und der Botschaft „Du kannst alles tun, was Du willst. Aber tu bloß das Richtige“. Bei vielen führt dies zu der Strategie, sich möglichst lange alles offen halten zu wollen. Sie fällen Entscheidungen, die sie nicht festlegen: Erstmal ein Auslandsjahr und dann weiter sehen; erstmal ein Studium, mit dem man danach noch alles machen kann….

Hilfe bei Entscheidungen

Andere wünschen sich Hilfe beim Entscheiden. Sie suchen Fach-Berater, die kraft Erfahrung und Kompetenz das neue Terrain besser abschätzen können. Vorteil: Jemand mit Feldkompetenz kann Irrwege ersparen und den Weg weisen. Unnötige Umwege können eventuell vermieden werden. Die Herausforderung: Für sich selbst abzuschätzen, wo Rat hilfreich ist und wo ein Berater vielleicht nicht verstanden hat, worum es geht und der Rat besser zurück gewiesen werden muss. Auch Berater kennen die Zukunft nicht, sondern können nur auf der Basis ihrer Erfahrung mit der Vergangenheit und ihrer Kompetenz für das Feld Orientierung geben und Wege weisen.

In die Zukunft blicken

Kein Wunder, dass sich viele auf dem Markt finden, die versprechen, dass sie mehr als das leisten können: nämlich in die Zukunft blicken. Und für viele Menschen haben solche Angebote großen Reiz. Jemand, der mit Autorität und Charisma vermitteln kann, dass er oder sie WEIß, was passieren wird und was richtig ist, besitzt große Attraktivität. In Zeiten von Unsicherheit und Entscheidungen wünschen wir uns ja genau das: Dass jemand oder wir selbst in die Zukunft blicken können und JETZT absehen können, was passieren wird, damit wir uns nicht irren und kein Risiko tragen. Bei dieser Art von Beratung sind wir jedoch abhängig von der Aussage, die jemand trifft. Sagt er/sie das Richtige, das, was zu unserer Wahrnehmung und unseren Gefühlen passt, ist das wunderbar – wenn nicht, geraten wir in einen starken Konflikt. Wem oder was sollen wir jetzt trauen – der eigenen Wahrheit oder der Autorität, die gerade zu uns spricht? Weiß sie/er mehr als wir selbst? Kennt sie/er uns besser als wir uns selbst kennen? Hat sie/er Zugang zu einem übergeordneten Wissen und WEIß, was richtig ist – und wir wollen das nur nicht sehen?

Für mich ist das ein bißchen wie der Kontakt mit Eltern – solange wir Kind sind, machen wir häufig die Erfahrung, dass sie mehr wissen als wir selbst, dass sie in die Zukunft blicken können und uns vor Konsequenzen warnen, die dann auch wirklich so eintreffen – sie haben einen anderen Weitblick. Treffen sie Entscheidungen, die nicht gut für uns sind, stimmen wir innerlich vielleicht nicht überein, mit dem, was sie sagen, aber als Kind haben wir keine Chance, mit der eigenen Wahrheit durchzukommen.

Selbst heraus finden, was stimmt

Ob Wahrsager, Astrologe, Schamane oder mit Autorität auftretender Berater und Coach – entscheidend ist nicht, in welchem Gewand diese Angebote daher kommen, sondern ob sie den Ratsuchenden in seiner eigenen Entscheidungsfähigkeit stärken oder versuchen, ihm die Entscheidung abzunehmen, weil sie (angeblich) besser oder schon im voraus wissen, was richtig ist.

Ich halte es für wichtig, dass wir für uns selbst herausfinden, was fühle ich, was denke ich, welche Optionen habe ich, was stimmt in mir und für mich. Es geht darum, DEN Weg zu gehen, der im Einklang mit meinen Plänen, Wünschen und Absichten ist, mir selbst nahe zu sein – und eher Sicherheiten einzubauen, dass ich von einem Weg wieder abweichen darf, wenn er sich als nicht richtig herausstellt.

Ich kann nur nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden – das ist das Beste, was ich sehen kann, es ist MEIN Weg. Und ich darf mich auch irren. Auch dabei lerne ich Wesentliches über mich. Ich glaube, dass es der Weg zum Erwachsensein ist, mir und meiner Wahrnehmung zu vertrauen und zu spüren, dass ICH SELBST am besten weiß, was gut für mich ist. Dass ich innerlich die einzige bin, die prüfen und spüren kann, was für mich stimmt. Andere können mir etwas spiegeln, mir wertvolle Impulse geben, können manchmal etwas sehen, was ich gerade nicht sehen will oder kann – aber letztlich bleibe ich die Instanz, die prüft, ob etwas stimmig ist oder nicht. Und ich darf auch irgendwann erkennen, dass jemand mir etwas Wichtiges gesagt hat, was ich DAMALS aber noch nicht hören konnte. Dann war es nicht dran. Alles in allem will ich sagen: Trauen Sie Ihrer Wahrnehmung. Sie sind der Chef oder die Chefin Ihres Lebens!

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