Mobbing kann ganz leise anfangen

Da ist einer oder eine Gruppe von Menschen, die anfängt, einen anderen Menschen abzuwerten, auszugrenzen. Ihn blöd dastehen zu lassen. Manchmal absichtlich, manchmal ohne Kalkül. Er ist doch komisch, oder? Eigenartig. Verhält sich nicht so wie wir. Er gehört nicht zu uns… Mit ihm will man nichts zu tun haben. Nicht mit so einem…..

  • Einer oder mehrere sind aktiv und treiben das Mobbing voran. Sie haben meist gute Gründe dafür.
  • Manchmal waren sie es selbst, die einst Mobbing-Opfer waren und geben nun weiter, was sie selbst erfahren haben.
  • Manchmal sind sie unsicher und stärken so ihre Position in der Gruppe.
  • Manchmal haben sie handfest etwas zu gewinnen, indem sie jemand anderen abwerten. Prestige, Anerkennung, einen guten Platz in der Gruppe.
  • Manch einer profitiert sogar direkt und erkämpft sich durch Mobbing eine Position.
  • In ganz schlimmen Fällen setzt eine Institution oder Firma Mobbing bewusst ein – wir kriegen Frau Meyer nicht mit legalen Mitteln aus ihrem Job. Sie hat sich nichts zu schulden kommen lassen. Doch mal schauen, ob sie es aushält, wenn wir anfangen, ihr das Leben schwer zu machen.
Mitläufer – mit-verantwortlich

Und dann gibt es die, die mitmachen. Würde man sie auf ihr Verhalten ansprechen, wären sie vermutlich beschämt. So ganz geheuer ist ihnen oft nicht dabei. Aber tun sie wirklich etwas Schlimmes? Er ist doch auch komisch. Da ist es doch nur natürlich, dass man mit ihm nichts zu tun haben will.

Mehr und mehr einigt sich die Gruppe, die Abteilung, der Verein darauf, dass jemand an den Rand gerät. Egal, was er tut, alle haben eine bestimmte Brille auf, durch die sie sein Verhalten interpretieren. Alles, was er tut, ist eigenartig, überheblich, unverschämt, merkwürdig – jedenfalls nicht richtig. So hat man einfach nicht zu sein. So darf man sich nicht verhalten, wenn man dazugehören will.

Sie sind es vielleicht nicht, die aktiv werden, aber sie sagen auch nichts, wenn andere aktiv ausgrenzen. Manchmal ist ihnen insgeheim mulmig. So ganz richtig kommt ihnen das Ganze nicht vor. Ja klar, der ist komisch, aber ist es wirklich in Ordnung, was hier gerade passiert? Aber wenn ich jetzt was sage, stehe ich alleine da. Die anderen scheinen das ja alles ganz richtig und in Ordnung zu finden. Ich will dazu gehören. Und das Mobbing macht deutlich, was einem hier passieren kann – man will ja nicht selbst zum Opfer werden, indem man sich auf die falsche Seite stellt. Lieber zu den Mächtigen dazugehören.

 Mobbing entsteht nicht im luftleeren Raum

Begünstigt wird Mobbing durch ein Umfeld, in dem Druck herrscht: Nehmen wir Schule – ein hierarchisches System, in dem es ständig um unten und oben geht, in dem Bewertung und auch Abwertung an der Tagesordnung ist, in dem Schüler von Lehrern konfrontiert und lächerlich gemacht werden. Hier herrscht Druck und wer in der Hackordnung oben sein will, kann dies tun, indem er deutlich macht: Ich habe die Macht, andere einzuschüchtern und blöd dastehen zu lassen. Der Druck, der im System ist, wird weiter gegeben.

Lehrer, die ein kooperatives Klima schaffen, die positiv und wertschätzend mit ihren Schülern umgehen, sorgen gleichzeitig dafür, dass jeder Anerkennung erfährt. Lehrer, die viel Druck ausüben, schaffen das Bedürfnis nach Ventilen für diesen Druck.

Nicht nur Schule funktioniert so; auch Unternehmen oder Institutionen sind in der Regel hierarchisch strukturiert. Auch sie stehen in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr unter Druck. Und wo Druck herrscht, wächst die Gefahr von Mobbing.

Begünstigt wird Mobbing, wenn es keine offene Kommunikationskultur gibt. Da, wo Konflikte unter den Teppich gekehrt oder direkt unterdrückt werden, suchen sich die Aggressionen Ausdrucksmöglichkeiten. Da, wo man nicht damit rechnen muss, für unfaires Verhalten zur Rechenschaft gezogen zu werden, kann dies als Zustimmung interpretiert werden. Da, wo nicht direkt eingeschritten wird, wenn es kleine Grenzüberschreitungen gibt, ist der Schritt zu größeren nicht mehr weit.

Organisationen haben also eine Menge damit zu tun, wenn es in ihren Reihen Mobbing gibt. Sie können sich ihre Hände nicht in Unschuld waschen. Es sind nicht die bösen Einzeltäter. Menschen mit schwierigen Biographien, die versuchen, ihre Interessen und Mißempfindungen auf Kosten anderer durchzusetzen, gibt es überall. Die Frage ist, ob eine Organisation dem entschieden entgegen tritt und deutlich macht, dass Mobbing in den eigenen Reihen nicht geduldet wird. Die Frage ist, ob Mobbing stillschweigend gebilligt wird, indem dagegen nichts unternommen wird.

Das ist die Täter-Ebene, die Ebene der Mit-Läufer und die Ebene der Organisation. Was aber ist mit den Menschen, die von Mobbing betroffen sind?

Wer Mobbing erlebt hat, wird nie wieder so sein wie vorher

Ein Mensch, der Mobbing-Opfer wird, versteht in der Regel lange Zeit nicht, was ihm da widerfährt. Gutwillig oder ängstlich hat er sich in eine Gruppe begeben und möchte das, was alle wollen – Teil von ihr sein, akzeptiert sein als die Person, die er ist. Wird diese Akzeptanz verweigert, wird er sich bemühen, Anschluss zu finden, vielleicht an sich zu zweifeln und sich zurück ziehen, vielleicht, seine Anstrengungen verstärken. Die meisten können zu Beginn gar nicht glauben, dass es wirklich Menschen gibt, die aktiv gegen sie vorgehen, die nicht ihr Wohl im Sinn haben. Häufig sind Mobbing-Handlungen auch nicht eindeutig als solche identifizierbar oder werden bewusst verschleiert. Sie geschehen heimlich, so dass nur Täter und Opfer davon wissen. Oder sie geschehen so subtil, dass das Opfer dumm dasteht, wenn es thematisiert, was passiert. Unterlagen sind plötzlich verschwunden – wahrscheinlich hast Du sie selbst verloren und willst das jetzt nicht zugeben. Deine Tasche hängt am Laternenpfahl – wie lächerlich, dass Du Dich über so eine Kleinigkeit aufregst, Du hast wohl keinen Humor. Es gibt Witzeleien über Dich – kannst Du denn gar nichts vertragen? Du merkst, wenn Du etwas sagst, dass das Klima kritisch ist, Deine Worte hallen in Deinen Ohren. Du merkst, egal, wie sehr Du Dich anstrengst – Du stößt nicht auf Zustimmung, sondern auf Kritik, Lächerlich machen, Anzweifeln…

Wer begreift, dass hier etwas im Gange ist, wird seine Bemühungen verdoppeln, doch noch dazuzugehören. Er wird beginnen zu kämpfen, nach Verbündeten suchen. Vorfälle bei der Leitung thematisieren. Oder still leiden. Zunehmende Verunsicherung setzt ein. Gruppen sind machtvoll. Sie spiegeln uns – entweder positiv und selbstwert-stärkend oder destabilisierend. Wer dauerhaft keine Zustimmung erfährt, wird über kurz oder lang an sich und an der eigenen Wahrnehmung zweifeln. Warum sind Richtig und Falsch so verdreht? Warum reagieren alle so auf ihn? Stimmt wirklich irgendetwas Grundlegendes nicht an ihm? Warum stoßen seine Versuche, Hilfe zu erhalten, nicht auf Resonanz?

Entweder findet er in dieser Phase Verbündete; es gibt jemanden, der aufsteht und zu ihm hält – dann kann sich das Geschehen lösen. Vielleicht wird derjenige, der angreiferisch unterwegs war, zur Rede gestellt. Oder es gibt eine Aussprache über den Konflikt, der im Raum steht.

Was aber, wenn dies nicht passiert? Wenn der Gemobbte immer weiter isoliert wird? Wenn es den Mobbenden gelingt, ihn auszugrenzen und an den Pranger zu stellen. Immer mehr wird sich die Gruppe einig, dass mit ihm, dem Gemobbten etwas nicht stimmt. Das muss nicht explizit geschehen. Das kann auch durch gemeinsames Handeln – bzw. Nicht-Handeln, nämlich fehlende Solidarisierung – passieren. Der Gemobbte merkt, dass er sich nicht wehren kann. Er versucht – immer verzweifelter – Kontakt aufzunehmen, für sein Recht einzutreten, dafür, dass er ok ist. Und wird nicht gehört. 

Häufig versagen sogar die Helfer-Systeme

Dramatisch für den Gemobbten ist, dass häufig auch das Umfeld und selbst Helfer-Systeme nicht begreifen, was sich abspielt. Die Mobbing-Dynamik ist so umfassend, der Zweifel, den das Mobbing beim Gemobbten auslöst, so stark, dass dieser ungewollt auch hier zum Opfer wird. Er bringt seine große Frage, ob mit ihm alles in Ordnung ist, mit. Und Systeme um ihn, hören diese Frage – und fangen an, IHN zu Veränderungen zu drängen. Wenn Du Dich anders anziehen würdest und nicht so auffällig wärst. Vielleicht hast Du Dich ja wirklich falsch verhalten. Vielleicht bist Du zu still, zu laut, zu dominant oder zu submissiv…… Es entsteht eine Verdrehung der Verantwortlichkeiten. Dramatisch deshalb, weil es den Gemobbten darin bestärkt, dass er die Ursache für das Mobbing ist, dass mit ihm wirklich etwas nicht stimmt. Dramatisch auch deshalb, weil er in der Regel tun und lassen kann, was er will – sein Verhalten entlässt ihn nicht aus dem Mobbing. Solange er sich selbst für das Problem hält und darin von außen bestärkt wird, wird das Mobbing nicht beendet, sondern aufrecht erhalten.

Erst der Austritt aus der Logik des Mobbings, kann das Mobbing beenden. Erst wenn Mobbing als das benannt wird, was es ist: Mobbing – versteht das Opfer, was ihm widerfahren ist, und sind die Mitläufer geschockt, weil sie erkennen, woran sie beteiligt waren. Es geht darum, deutlich zu machen, dass der, der zum Mobbing-Opfer geworden ist, nicht verdient, was ihm widerfährt – gerade auch dann, wenn er etwas anders ist als dies in der Gruppe üblich ist oder wenn er sich an irgendeiner Stelle falsch oder ungeschickt verhalten hat. Erst wenn deutlich wird, dass Mobbing unter keinen Umständen akzeptabel ist, weil damit einem Menschen Zugehörigkeit und Akzeptanz verweigert wird, ist die Spirale wirklich beendet. Dann, wenn dieser Mensch wieder Solidarität erfährt und der oder die Täter in den Blick geraten.

Mobbing hinterlässt Spuren in der Seele

Wer einmal in seinem Leben Mobbing erlebt hat, wird nie wieder der sein, der er zuvor war. Die Erfahrung, so fundamental in Frage gestellt zu werden, ist, als würde man versuchen, aus einem Loch heraus zu klettern und spüren, dass alle Wände rutschig sind. Jeder Versuch, nach oben zu kommen, lässt einen noch tiefer hinab rutschen. Am dramatischsten aber ist die Erkenntnis, dass oben Menschen stehen, die nicht nur nicht kapieren, dass hier jemand ums innere Überleben kämpft, und helfen, sondern kalt zusehen oder sogar noch aktiv dafür sorgen, dass das Herauskrabbeln nicht gelingt. Dies verändert grundlegend das Vertrauen in Menschen.

 Mobbing hinterlässt tiefe Verunsicherung

Wie konnte das passieren? Was ist meine Schuld? Stimmt mir etwas nicht, das mich zum Mobbing-Opfer macht? Habe ich etwas falsch gemacht? Was ist an mir, dass mich die anderen nicht akzeptieren?

Mobbing beschämt. Opfer sein beschämt. Häufig ist es noch nachträglich schwer, über die Erfahrung zu reden. Kann man sicher sein, dass die Zuhörer die eigene Partei ergreifen? Denken sie nicht insgeheim, da muss doch etwas dran gewesen sein? So wird doch keiner behandelt, der nicht auch einen eigenen Anteil hat?

Es kann jedem widerfahren, zum Mobbing-Opfer zu werden. Wer nach eigenen Anteilen fragt, erfährt unter Umständen, dass er Menschen vor sich hat, die schon früher in ihrem Leben gelernt haben, sich nicht massiv zur Wehr zu setzen, denen auch früher schon Unrecht geschah, die noch nett sind, wenn es andere nicht mehr sind… Um es mit aller Klarheit zu sagen: Es gibt keine Gründe und eigenen Anteile, die Mobbing rechtfertigen.

Im besten Fall gelingt es, die Erfahrung nachträglich einzugrenzen. Unter welchen Umständen konnte das Mobbing passieren – sprich: Welche Bedingungen braucht es, um nie wieder zum Opfer zu werden?

Wie fundamental die entstandene Verletzung ist, hängt von einigen Umständen ab: Welches Ausmaß das Mobbing angenommen hatte, wie lange das Mobbing anhielt, ob derjenige mehrfach Mobbing-Erlebnisse hatte, welche Unterstützung und Bestätigung das Mobbing-Opfer irgendwann erfahren hat und ob es Systeme gab, die es gestützt und gehalten hat, in denen es Akzeptanz erfuhr?

Heilung

Es braucht Geduld, bis die Wunden heilen. Es dauert lange, bis neues Vertrauen entsteht – in sich selbst und in andere. Sich in Gruppen zu begeben, bleibt heikel. Je größer die eigenen Kontrollmöglichkeiten sind, desto leichter – je mehr es darum geht, sich anzuvertrauen und auszuliefern, desto schwieriger ist es. Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, dass es fatal sein kann, sich einzulassen und anzuvertrauen, der wird immer mehr oder weniger auf der Hut sein.

Wer die Biographien von Künstlern und Musikern, Wissenschaftlern und Erfindern studiert, wird staunen darüber, wie viele von ihnen von Ausgrenzungs- und Mobbing-Erfahrungen berichten. Gruppen tendieren dazu, Andersartiges aufzuspießen. Und je größer die Bedrohung von außen, desto stärker wird die Tendenz, Nicht-Konformes zu bekämpfen. Dabei sind es beileibe nicht immer Schwächen und Macken, nicht Liebenswertes und Peinliches, was Menschen zu Mobbing-Opfern macht – und es ist die größte Angst dessen ist, der gemobbt wird, dass die anderen recht haben könnten, dass man keine Anerkennung verdient – im Gegenteil ist es häufig die Kreativität, Klugheit, das Schnelle, Findige und Smarte, das Anderssein im positiven Sinne, was in der Gruppe keine Anerkennung findet.

Was hat all das mit Gründung zu tun? Manch einer geht den Weg in die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Das, was in der Gruppe so gar keinen Anklang fand, kann in einem anderen Umfeld grandios sein. Sich selbständig zu machen, kann bedeuten, die Macht der Gruppe hinter sich zu lassen, sich selbst recht zu geben und den eigenen Weg zu gehen. Bestimmt kein Allheil-Mittel, aber eine mögliche Lösung.

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